Wer war Bertolt Brecht?
Genialer Dichter und Stückeschreiber? Unerträglicher Fiesling? Aufrechter Marxist? Ausbeuter seiner Mitarbeiterinnen? Theaterrevoulutionär? Erotomane? Erneuerer der Sprache? Komischer Kautz?
Diesen Fragen wollen wir anhand von vielen Liedern und Texten nachgehen und einen ausgiebigen Ausflug in Brechts Leben wagen – um ganz unbefangen, frisch und voller Spielwut herauszufinden, was uns der streitbare Augsburger heute noch zu sagen hat.
Übrigens: Ruth Berlau, Schauspielerin, Regisseurin, Fotografin und Schriftstellerin, die mit Brecht 22 Jahre lang gearbeitet und geliebt hat, beantwortete unsere Frage wie folgt:
Hier einige Aufzeichnungen, die ich über die Jahre notiert habe. Vielleicht finden Sie ein bisschen heraus, wie er war. Er wusste es nicht.
Immerfort werde ich gefragt: Wie war Brecht als Mensch? Fragt mich lieber: Wie war Brecht als Arbeiter? Brecht selber meinte, dass es niemand anginge, wie er als Mensch sei: »Nicht mal mich selber geht’s an.«
Und doch: Wie war er denn? Wo ist er zu finden in seinen Werken? Überall! In jeder Strophe, in jedem Satz. Schrieb er nicht völlig kalt und ohne Gefühl? Nein. Wie war er denn nun, dieser Bertolt Brecht? Völlig normal. Aber er war doch ein Genie? Ja, aber ein normales Genie, sozusagen: Genie + Marxismus. Ein fleißiges, normales marxistisches Genie.
Da kommen Leute aus aller Herren Länder und fragen: Er hatte doch einen Dreh als Schriftsteller, einen Trick. Wie konnte er so schreiben? Was war er für ein Mensch? Ein Kommunist.Aber was fühlte er, wenn er schrieb? Er sagte dazu: »Ich fühle nur, wenn ich Kopfschmerzen habe, nicht wenn ich schreibe. Dann denke ich nämlich.«
Und was interessierte ihn am meisten? Was war seine Triebkraft? Das hatte ich ihn selber mal gefragt. Er sagte: »Das kann ich mit einem Wörtlein beantworten, einem einzigen: Klassenkampf.« Wofür arbeitete er? Für die Unterdrückten, gegen die Ausbeuter.
Na, wie war er also? Fleißig. Und? Freundlich. Und? Humorvoll. Und? Normal. Und welche Probleme, Privatprobleme, hatte er? Mir sagte er, er habe keine. Was soll das alles heißen, er war doch merkwürdig? Ja, merkwürdig normal.
Das Einzige, was mir aufgefallen ist: Dass er selbst im härtesten finnischen Winter ohne Handschuhe ging. Er hatte immer warme Hände und liebte die Luft auf Händen und Stirn. Ja, und dann natürlich: Dass er gearbeitet hat, wie kein andrer Mensch, den ich gekannt habe. Er kannte keinen Sonntag, keine Sommerferien, keine Feiertage – aber einen Weihnachtsbaum wollte er haben.
Was er hasste:
Wenn jemand ihm seinen Mantel hielt.
Wenn jemand ihm Feuer für die Zigarre anbot.
Kämpfe, wer zuerst durch eine Tür gehen soll.
Brecht stürzte von einer Probe in eine andere.
B.: Warum wird die Szene nicht probiert, die ich angesetzt habe?
REGISSEUR: Die haben wir schon probiert.
B.: Ich habe ausdrücklich angeordnet, dass die erst probiert wird, wenn ich da bin.
REGISSEUR: Ja, aber…
B.: Ich hatte verboten, die Szene ohne mich zu probieren!
REGISSEUR: Ja. Aber die Schauspielerin wollte nach Hause, und…
B.: Hier gibt’s keine Primadonna…außer mir!
Seine Wut verschwand in einem verschmitzten Grinsen.
B.: Was haben Sie denn?
W.: Ich habe einen Zahn gezogen bekommen.
B.: Warum?
W.: Das Wurzelbett war vereitert.
B.: Ja, wenn die Basis faul ist, kann der Überbau nicht bleiben.
Im Schriftstellerverband war das diskutiert worden. Als wir weggingen, sagte B.: »Jedenfalls, wenn ich morgens aufstehe, wer ist dann da? Ich. Wenn ich dann meinen Tee trinke, wer sitzt da? Ich. Wenn ich ein bisschen heruntergeh auf die Straße, wer geht da? Ich. Ich geh wieder nach oben, wer ist schon wieder da? Ich. Na, dann geh ich lieber ins Berliner Ensemble.«
Sein eigner Sohn
Als B. zurück nach Deutschland kam, aus der langen Emigration, da kannte die junge Generation oft nicht einmal seinen Namen.
Seine Bücher waren verbrannt, er selber von Hitler ausgebürgert. Eines Tages mussten wir irgendwelche Papiere auf irgendeinem Amt abholen, und – wie üblich – uns erst beim Pförtner anmelden, um einen Passierschein zu bekommen. Dieser Pförtner genoss seine Machtstellung ungemein. Er buchstabierte sich langsam durch den Namen Ber—tolt—Brecht, sah B. streng an und fragte: »Sind Sie mit dem Bert Brecht verwandt?« »Ja. Ich bin mein eigner Sohn«, antwortete B., griff den Passierschein und mulmelte im Hineingehn: »In jedem Loch sitzt immer noch ein Kaiser Wilhelm.«
Text von Ruth Berlau. Verwendung mit freundlicher Genehmigung von Hilda Hoffmann.
Bertolt Brecht hat mit seinen Stücken, Gedichten und Geschichten seit den 1920er Jahren politisches Theater als Diskursraum etabliert . Er war ein politischer Dichter, der uns auch heute noch viel zu sagen hat, Mut zur Haltung macht und so manchen Rat zur Bewältigung der Gegenwart bereithält.